Anthroposophische Medizin – was ist das?
Die anthroposophisch orientierte Heilkunde versteht sich nicht als alternative, sondern als eine erweiterte naturwissenschaftliche Medizin. Sie richtet sich dabei am Wesen des Menschen und seinen individuellen seelisch-geistigen Bedürfnissen aus. Der Zusammenhang zwischen Mensch und Natur, eine zwangsläufige, da evolutionsbedingte Verwandtschaft, bildet einen zentralen Basisgedanken der Anthrosophie.
Rechtliche Basis der „Besonderen Therapieformen“
Im deutschen Arzneimittelgesetz (rechtsgültig seit 1978) bekennt sich der Gesetzgeber zum „Wissenschaftspluralismus der Medizin“. Darunter werden derzeit die naturwissenschaftlich orientierte Schulmedizin und die drei „Besonderen Therapierichtungen“ verstanden. Zu diesen gehören: Die Phytotherapie, die Homöopathie und die anthroposophische Medizin. Spezielle Zulassungs- und Aufbereitungskommissionen sind mit der Neu- und Nachzulassung der im Handel befindlichen Präparaten betraut. Jede Kommission ist für eine bestimmte Therapierichtung zuständig. So ist die Kommission C für die anthroposophische Medizin, die Kommission D für die Homöopathie und die Kommission E für die Phytotherapie zuständig.
Anthroposophische Lehre
Das Wort „Anthroposophie“ entstammt dem griechischen Wortschaft und bedeutet: „Anthropos = Mensch“, „Sophia = Weisheit“ = „Menschenweisheit“.
Begründer der Anthroposophie war Rudolf Steiner (1861-1925). Dieser gründete 1913 die Anthroposophische Gesellschaft, deren Zentrum das „Goetheanum“ als „freie Hochschule für Geisteswissenschaft“ in Dornach bei Basel (Schweiz) ist. Steiner übte seinerzeit einen weitreichenden Einfluß auf das allgemeine Kulturleben aus. Bis heute wirken und arbeiten die Anthroposophische Gesellschaft, Waldorfschulen und diverse Institute für heilpädagogische Therapieformen (z.B. Eurythmie) auf anthroposophischer Grundlage.
Diese Verwandtschaft der Natur und ihrer Prozesse einerseits mit dem Menschen und seinen Körperfunktionen anderseits prägt den therapeutischen Ansatzpunkt der anthroposophischen Heilkunde mit.
Zudem kommt der Heilmittelherstellung eine ganz besondere Bedeutung zu: Das jeweilige Herstellungsverfahren bildet das Bindeglied zwischen der Natursubstanz und dem Menschen. Erst durch die Wahl der entsprechenden pharmazeutischen Herstellungsweise wird die ausgewählte Natursubstanz zum Heilmittel. Die pharmazeutische Bearbeitung verwandelt dann die Substanz, damit sie vom Organismus aufgenommen und therapeutisch wirksam sein kann. Diverse pharmazeutische Verfahren werden hierfür angewandt: Verfestigungsprozesse (kristallisieren), Verflüssigungsprozesse (lösen oder schmelzen), Verluftungsprozesse (destillieren) und schießlich Verbrennungsprozesse (veraschen). Das Potenzieren eines Stoffes bewirkt, daß das Verdünnungsmedium, wie beispielsweise Wasser, stufenweise durch rhythmisches Verschütteln eine neue, dem Ausgangsstoff entsprechende, Konfiguration erhält. Und genau die Prägung ist für den therapeutischen Erfolg wichtig und bedeutsam, nicht aber die eingesetzten bzw. vorhandenen Stoffmengen.
Das anthroposophische Menschenbild
Nach dem anthroposophischen Menschenbild werden vier Wesensglieder als Eigenschaften höherer Organisationsebenen des Menschen unterschieden. Diese vier Wesensglieder stehen in gegenseitigem Wechselspiel zueinander. Gesundheit, Krankheit und Heilung werden dementsprechend nicht rein nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten beurteilt. Krankheit bedeutet eine Diskrepanz der normalen üblichen Gesetzmäßigkeiten: Eines der vier Wesensglieder stimmt nicht mehr mit den anderen überein.
Die vier Wesensglieder setzen sich zusammen aus dem
Die physische Organisation beginnt mit der Befruchtung. Sie ist stets aus lebendigen Entwicklungsprozessen heraus gestaltet. Die Pflanzen, die Tiere und auch der Mensch – sie alle bauen ihren physischen Leib aus der unbelebten mineralischen Welt auf. Erst wenn der Tod eintritt, unterliegt der menschliche physische Leib der Gesetzen der unbelebten Natur. Die festen, flüssigen, gasförmigen Bestandteile des Leibes gehen ihre eigenen Wege. Zur menschlichen Gestalt lassen sie sich nur dann zusammenfügen, wenn der physische Leib von den Gesetzmäßigkeiten des Lebens durchzogen und zusammengehalten ist. Der physische Leib aller lebenden Organismen kann mit naturwissenschaftlichen Methoden (messen, wiegen, chemisch-analytisches untersuchen) beschrieben werden und macht jede Gestalt räumlich sichtbar.
Im Ätherleib (Lebensleib) spielen sich die Gesetze des Lebendigen ab. Typische Merkmale des Ätherleibes sind Vererbung, Wachstum, Regeneration und die Organfunktionen. Dabei ist jede Lebensäußerung an einen bestimmten Zeitablauf gebunden. Tiere und Menschen folgen nicht nur den Gesetzen von Raum und Zeit. Beide haben zusätzlich ein seelisches Innenleben.
Der Astralleib (Seelenleib) spiegelt Triebkräfte wieder, die ihre Lebensvorgänge mitprägen. Dazu gehören beispielsweise Begierde, Wünsche, Vernunft, Sympathie, Lust oder Unlust. Große Gegensätze sind zu vereinen: Das „Erdenbewußtsein“, das an den physischen Leib und die Sinne gebunden ist, und das „kosmische Bewußtsein“, das erst durch das Denken möglich wird.
Die Ich-Organisation schließlich unterscheidet den Menschen von Mineral, Pflanze und Tier. Der Mensch verfügt im Gegensatz zum trieb- und instinktgeprägten Tier über ein Selbstbewußtsein. Dieses Selbstbewußtsein befähigt den Menschen zu freiem Denken, zum Lernen und zur Selbstbestimmung. Der Mensch kann von seiner Ich-Organisation aus seine anderen Seinsebenen derart beherrschen, daß letztlich sogar der physische Leib ein getreues Abbild seines seelisch-geistigen Lebens wird.
Die vier Wesensglieder
Gesundheit und Krankheit in der Anthroposophie
Der Mensch ist um so gesünder, je fähiger er ist, seinen Charakter und sein Wesen in allen vier Seinsbereichen zu äußern. Sind die Gesetzmäßigkeiten eines der vier Wesensglieder nicht mehr im Einklang mit denen der anderen, so herrscht ein Ungleichgewicht. Naturvorgänge werden dominant, eine Störung (Krankheit) entsteht.
Der Organismus des Menschen vereint in sich Gesetzmäßigkeiten, die in verschiedenen Bereichen der Umwelt getrennt zu finden sind. Dazu gehören Gesetzmäßigkeiten aus der mineralischen Umwelt, aus der pflanzlich-lebendigen und schließlich der animalisch empfindenden Umwelt. Während des Lebens muß die Ich-Organisation permanent diese Gesetzmäßigkeiten integrieren. Beispielsweise unsere Ernährung macht uns diese Beziehung deutlich.
Anthroposophische Heilmittel: Anforderungen an die Ausgangsstoffe
Die Ausgangssubstanzen, die zur Herstellung der Heilmittel verwendet werden, stammen aus dem Mineral-, dem Pflanzen- und dem Tierreich.
Den mineralischen Ausgangsstoffen, wie z.B. Metallen, Salzen, Edelsteinen, wird eine direkte Wirkbeziehung zur Ich-Organisation zugesprochen. Sie unterstützen die Ich-Organisation bei ihrer Aufgabe, den physischen Leib wieder zu beherrschen und in die Fülle der Einzelprozesse zu integrieren.
Pflanzliche Ausgangsstoffe entstammen aus kontrolliert biologischem Anbau oder auch aus Wildsammlungen. Ihnen spricht man primär eine Wirkung auf den Astralleib, das Seelische, zu. Sie regulieren die Beziehung des Astralleibes zum Ätherleib.
Organische Ausgangsstoffe vom Tier wirken im Menschen direkt auf die Vitalvorgänge des Ätherleibs. Sie regulieren dessen Verhältnis zum Astralleib. Die Ausgangsstoffe stammen ausschließlich von gesunden Tieren aus veterinärmedizinsich kontrollierter Aufzucht. Nur Betriebe, die nach biologisch-dynamischen Prinzipien wirtschaften, werden hierfür ausgesucht.
Grundsätzlich gilt, daß ein sorgfältig ausgewähltes Heilmittel nicht nur auf die Symptome einer Krankheit einwirkt. Die Selbstheilungskräfte des Organismus werden ebenfalls angeregt, so daß damit der Gesundungsprozeß zusätzlich gefördert wird.
Anthroposophische Heilmittel als Ergänzung zur klassischen Hausapotheke
Nachfolgend sei beispielhaft und ohne Wertung eine Auswahl anthroposophischer Heilmittel vorgestellt, gegliedert nach diversen behandlungsbedürftigen Befindlichkeitsstörungen. Bei Erkältungskrankheiten bietet sich eine Vielzahl anthroposophischer Heilmittel an:
So kann ein trivialer Schnupfen mit dem Nasenbalsam (Wala), mehrmals täglich am/im Naseneingang aufgetragen, behandelt werden. Vorsicht ist jedoch bei Kleinkindern bzw. Säuglingen geboten. Für diese Altersgruppe gibt es extra den Nasenbalsam mild (Wala), der frei von ätherischen Ölen ist. Alternativ steht die Schnupfencreme (Weledea) zur Verfügung, die das Durchatmen erleichert. Das Oleum Rhinale (Welede) hilft, eine trockene Nasenschleimhaut zu befeuchten und damit für das richtige Klima in der Nase zu sorgen.
Bei Halsschmerzen kann mit einem halben Teelöffel Bolus Eucalypti comp (Weleda) auf ein halbes Glas Wasser gegurgelt werden. Wem dies zu umständlich ist, der kann auch einfach eine Messerspitze des Pulvers im Mund zergehen lassen. Mit Echinacea comp. Essenz (Wala), kann der Hals per Sprühflüssigkeit behandelt werden, eventuell unterstützt durch Apis/Belladonna Globuli (Wala), die zusätzlich gegen Schluckbeschwerden helfen.
Bei Husten und Bronchialerkrankungen kann ebenfalls aus einer breiten Palette von Präparaten gewählt werden. Je nach Ausprägung des Hustens stehen beispielsweise Doron Hustentropfen (Weleda) zur Verfügung, die den Schleimfluß positiv beinflussen und so das Abhusten erleichtern. Das Hustenelixier (Weleda), mit der Indikation „Schleimhaut-Katarrh“, ist besonders gut für Kinder geeignet. Aber Achtung: Diabetiker sollen das Elixier wegen seines Zuckergehaltes nicht anwenden. Als Expektorans bietet sich Pulmonin Hustensaft (Wala) an, begleitend dazu können Brust und Rücken mit Plantago Bronchialbalsam (Wala) eingerieben werden. Ein trockener unproduktiver Reizhusten kann mit Archangelica comp. Globuli (Wala) behandelt werden, wohingegen Petasites comp. Globuli (Wala) bei einem krampfartigen, länger anhaltenden Husten eingesetzt werden kann.
Zur Soforthilfe bei leichteren Verbrennungen bieten sich zur Erstbehandlung flüssige Präparate, wie Combudoron Flüssigkeit (Weleda) oder die Brandessenz (Wala) an. Die Erstversorgung einer Brandwunde sollte zunächst mittels kühlenden Umschlägen – dabei stets an die entsprechende Verdünnung denken – erfolgen. Das Brand- und Wundgel (Wala) ist für kleine Verbrennungen und zur Nachbehandlung von Brandwunden geeignet. Bei Blähungen stehen beispielsweise Carum carvi comp. Suppositorien (Wala), für Kinder die Zäpfchen „für Kinder“, zur Verfügung. Melissenöl (Melissa comp., oleum, Wala) soll begleitend, mit warmen Händen im Uhrzeigersinn eingerieben, für Linderung sorgen. Die Birkenkohle comp. Kapseln (Weleda) umfassen ein erweitertes Indikationsgebiet: „Akute Verdauungsstörungen mit Blähungen und Darmkrämpfen sowie Durchfällen…“ Bolus alba comp. N (Wala) kann ebenfalls, in Wasser eingerührt werden, bei Durchfällen oder auch Sodbrennen angewendet werden. Stumpfe Verletzungen und Blutergüsse können mit Arnika-Essenz (Wala/Weleda) in entsprechender Verdünnung zunächst mit kühlenden Umschlägen versorgt werden. Das Arnika Gelee (Weleda) kann bei kleineren Verletzungen ebenfalls verwendet werden. Zur Nachbehandlung empfiehlt sich der Einsatz von Arnika Salbe (Wala/Weleda). Zusätzlich können z.B. Globuli, wie Arnica e planta tota D6 (Wala) oder die Dilution Arnica, Planta tota dil. (Weleda) bis zum Rückgang der Beschwerden eingenommen werden. Gegen Schwellung und Schmerzen kann ebenfalls Cuprum/Quarz comp., Unguentum (Wala) messerrückendick als Salbenverband aufgetragen werden. Die Salbe färbt ab, daher muß die Kleidung gut geschützt werden
Schon die wenigen Beispiele zeigen das weite Spektrum, bei dem anthropsophische Heilmittel eingesetzt werden können. Beim Einsatz dieser Präparate sollte man sich stets darüber bewußt sein, welches Ziel die anthroposophische Heilkunde verfolgt: Die Selbstheilungskräfte des Körpers sollen bestmöglich gefördert werden. Wo die Selbstheilungskräfte des Organismus nicht ausreichen, wird auch die anthroposophische Medizin auf schulmedizinische Konzepte zurückgreifen. Unabhängig davon, welche Therapie man für die Selbstmedikation wählt: es gilt, stets kritisch zu bleiben und in Zweifelsfällen den Arzt aufzusuchen.
Einahme von Globuli
Die Globuli möglichst nüchtern, zehn Minuten vor einer Mahlzeit einnehmen. Dabei unter der Zunge zergehen lassen.
Abgrenzung Homöpathie – anthroposophische Medizin
Gemeinsamkeit:
Ausgangsmaterial zur Präparateherstellung aus denselben Lebensbereichen (Mineral-, Pflanzen-, Tierreich, menschliche Organpräparate) mit der Möglichkeit, untereinander zu kombinieren.
Unterschied:
Die Homöopathie orientiert sich bei der Arzneimittelherstellung an Vorschriften des HAB, welches auf der Lehre von Samuel Hahnemann (1755-1843) basiert.
Bei der anthroposophischen Medizin spielen das HAB, aber auch diverse andere anerkannte Pharmakopöen bei der Heilmittelherstellung eine Rolle. Außerdem fließen spezielle, teilweise firmeneigene, Herstellungsvorschriften mit ein. Diese sind an die Lehren Rudolf Steiners angelehnt.